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Veröffentlicht am 27.04.2021

Wie Vereine die Herausforderungen der Pandemie meistern

von Marc D. Ludwig

Wie kommen zivilgesellschaftliche Organisationen mit den Herausforderungen der Pandemie zurecht? Vertreter:innen von fünf Projekten beantworteten unsere Fragen. Im Interview waren Miriam Kremer vom Verein KulturLeben Berlin, Letizia Graul von  MORUS 14 e.V. mit ihrem Projekt Netzwerk Schülerhilfe Rollberg, Pervin Tosun und Nakiye Yildiz vom Selbsthilfe und Stadtteilzentrum Neukölln, Guido Monreal vom Netzwerk Großbeerenstraße und Ursula Breidbach und Günther Schulze vom Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf.

 

Bitte beschreiben Sie zu Beginn kurz ihre Arbeit. 

MORUS 14:

Wir bei MORUS 14 engagieren uns sehr aktiv und nachhaltig für die Förderung der Bildung von benachteiligten Kinder und Jugendlichen aus dem Rollbergviertel in Nord-Neukölln. Hier verlassen noch rund 20 Prozent der Schüler:innen die Schule ohne Abschluss. In unseren Bildungsprojekten, mit denen wir jährlich rund 250 Kinder und Jugendliche im Kiez erreichen, bauen ehrenamtliche Mentor:innen, die wir „Schülerhelfer:innen“ nennen, nachhaltig das auf, was die Familien der Kinder nicht leisten können. Sie begleiten ihre Mentees zum Teil von der Grundschule bis zu ihrem Schulabschluss und verhelfen ihnen zu einem guten Start in das Berufsleben. Die Tandems treffen sich wöchentlich für 1,5 Stunden, um gemeinsam zu lernen, Hausaufgaben zu erledigen oder zu spielen. Außerdem unternehmen sie gemeinsame Ausflüge.

Selbsthilfe und Stadtteilzentrum Neukölln:

Unsere Kontaktstelle PflegeEngagement Neukölln für pflegeflankierende Ehrenamts- und Selbsthilfe entwickelt und unterstützt kleinere, wohnortnahe Selbsthilfe- und Ehrenamtsstrukturen für betreuende und pflegende Angehörige sowie pflegebedürftige und Personen mit erheblichen allgemeinem Betreuungsbedarf, die in der eigenen Wohnung oder Häuslichkeit oder in einer ambulanten Wohngemeinschaft leben. Es handelt sich hierbei vor allem um gruppenorientierte Besuchs-, Begleit- und Alltagshilfsdienste. Wir  vermitteln Hilfen, Räume, Ausstattung und zahlen Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige.

Gleichzeitig unterstützen wir im Projekt LeNa – Lebendige Nachbarschaften die Teilhabe zugewanderter Menschen am nachbarschaftlichen Leben und fördern deren ehrenamtliches Engagement in Neukölln-Süd durch sprachliche und  kulturell passende Angebote, Gesundheitsförderung, Freizeitgestaltung oder helfen bei Herausforderungen des Alltags. Wir fördern Begegnung und Kontakte in Sprach-Cafés, gemeinsame Unternehmungen, sowie das gemütliche Beisammensein für Geflüchtete und bereits länger hier lebende zugewanderte und einheimische Bewohner:innen.

Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf:

Das im Mai 2014 gegründete Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf  ist erster Ansprechpartner für die freiwillige Flüchtlingsarbeit im Bezirk und will zusammen mit anderen in diesem Themenfeld tätigen Akteuren erreichen, dass Geflüchtete bei uns Zukunftschancen haben. Dazu engagiert sich das Willkommensbündnis in drei Bereichen:
1. Unterstützung u.a. durch Begleitung, Nachhilfeunterricht und Prüfungsvorbereitung, Organisation von Sachspenden, Wohnraumvermittlung, Orientierung auf dem Arbeitsmarkt, Dolmetsch- und Fahrdienste sowie die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten.
2. Vernetzung mit den Betreibern der im Bezirk gelegenen Unterkünfte mit den im Themenfeld arbeitenden Organisationen, den zuständigen Fachverwaltungen sowie anderen Bündnissen und Vereinen in Berlin.
3. Formulierung und Durchsetzung von Forderungen nach umfassender Anerkennung des allgemeinen Menschenrechts auf Asyl mit den Mitteln der gesellschaftspolitischen Einflussnahme.

Netzwerk Großbeerenstraße:

Das Netzwerk Großbeerenstraße ist ein Zusammenschluss von derzeit rund 60 kleinen und mittelgroßen Berliner Unternehmen. Wir verstehen uns als CSR-Netzwerk (Corporate Social Responsibility), sind also der Überzeugung, dass wir als Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung haben. Diese wollen wir gemeinsam wahrnehmen.

Wir engagieren uns sehr stark am Übergang in Ausbildung und Arbeit, vor allem mit Menschen, die, aus unterschiedlichen Gründen, an dieser Schwelle Unterstützung benötigen, bspw. Jugendliche mit schwierigem familiärem Hintergrund oder zu uns geflüchtete Menschen.

Wir setzen uns mit Fragen des Umweltschutzes auseinander und haben uns 2013 als „Netzwerk mit Courage: Gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung!“ klar im Sinne des Grundgesetzes für ein gleichberechtigtes Miteinander und gegen jede Form von Rassismus positioniert.

Wir leisten klassische politische Aufklärungsarbeit, indem wir z. B. Info-Abende und Wanderausstellungen organisieren. Wir veranstalten Seminare und Workshops zu Aspekten der Demokratie, von Toleranz, Rassismus und Europa.

KulturLeben Berlin:

KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der es sich seit elf Jahren zur Aufgabe gemacht hat, sozial benachteiligten Menschen den Zugang zu kulturellen Angeboten der Hauptstadt zu erleichtern. Indem wir ihnen in Zusammenarbeit mit Berliner Kultureinrichtungen kostenlose Veranstaltungen vermitteln, ermöglichen wir unseren Gästen gesellschaftliche Teilhabe und leisten so einen Beitrag zu ihrem geistigen und sozialen Wohlergehen und damit auch zu ihrer Gesundheit. Aktuell sind 28.620 Menschen als Gäste angemeldet.

Unser Team ist international, daher sind wir in der glücklichen Lage, Sprachbarrieren überbrücken und telefonische Kulturvermittlung in unterschiedlichen Familiensprachen anbieten zu können. Dank unserer freiwilligen MitarbeiterInnen vermitteln wir unseren Gästen Veranstaltungen auf Deutsch, Arabisch, Farsi, Englisch, Russisch, Französisch, Polnisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch und Bosnisch.

 

Kommen Sie hier auch an Grenzen? Welche Hürden gibt es? Wie gehen Sie vor? 

MORUS 14:

Die aktuellen Kontaktbeschränkungen durch die Pandemie stellen uns vor einige Herausforderungen, weil sich die Tandems zeitweise nicht mehr in unseren Räumen treffen können. Solange es das Wetter ermöglichte, haben wir die Treffen an der frischen Luft durchgeführt. Im Herbst haben wir uns Luftfilter und CO2-Messgeräte für unsere Lernräume und das Büro angeschafft. Außerdem wurden alle Tandems über die Einhaltung der AHA+L-Regeln aufgeklärt.

Parallel haben wir die Digitalisierung vorangetrieben, um den Austausch über Videokonferenzen und WhatsApp zu ermöglichen. Für viele Schülerhelfer:innen war es trotzdem nicht einfach, mit ihrem Mentee in Kontakt zu bleiben.

Erfreulicherweise brachte uns Corona einen Zustrom von zahlreichen neuen Ehrenamtlichen, die durch die aktuelle Lage motiviert waren, sich für diejenigen einzusetzen, die von der Pandemie auf schwersten getroffen wurden. Dies stellte uns wiederum vor die Herausforderung, trotz der Kontaktbeschränkungen einen reibungslosen Ablauf von den Kennenlerngesprächen mit potenziellen Freiwilligen über die Gründung eines Tandems bis hin zu den regelmäßigen Treffen zu gewährleisten.

Selbsthilfe und Stadtteilzentrum Neukölln:

Die Pandemie brachte zunächst eine große Verunsicherung, einige pausierten und verließen die Kontaktstelle PflegeEngagement Neukölln, andere fassten etwas mehr Mut und nahmen ihre Aufgabe wieder auf.

Der Abbruch vieler persönlicher Kontakte hat zum Einem gezeigt, wie wichtig gerade die zwischenmenschliche Interaktion ist und zum anderen, dass die Kontaktstelle PflegeEngagement Neukölln sich noch stärker digital aufstellen muss. Es fehlt derzeit aber häufig an Endgeräten und KnowHow bei unserem Nutzer:innen, dafür versuchen wir möglichst intuitiv zu bedienenden Lösungen zu finden.

Auch die Gruppenarbeit hat sehr unter den Pandemiebedingungen gelitten. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, inwiefern digitale Angebote für unsere jetzige Klientel zugänglich gemacht werden können und ob digitale Formate nicht nur ein Notbehelf in Zeiten von physischer Kontaktreduzierung sind, sondern adäquate Unterstützungsangebote darstellen können.

In unserem Projekt LeNa – Lebendige Nachbarschaften haben wir einige Angebote wegen der Pandemie leider nicht durchführen können. Dazu zählen, das gemeinsame Frühstücken mit den Nachbarn, das Laufen mit Nordic Wolkig für die Berufstätigen, das Café mit zugewanderten interkulturellen Frauen und Nachbarn und auch die Bewegungsgruppe und die Kochgruppe.

Wir haben uns mit jenen Nachbar:innen geeinigt, die bereits mobil unterwegs sind, eine WhatsApp-Gruppe zu öffnen, damit die Kommunikation untereinander trotz Einschränkungen stattfinden kann. Für die Nachbarn, die digital nicht unterwegs sind, haben wir haben Flyer verteilt auf dem Bat-Yam-Platz, der sich gegenüber vom U-Bahnhof Lipschitzallee befindet. Nachbarn habe sich bereit erklärt, für andere den Einkauf, Medikamente etc. zu besorgen. Darunter auch Menschen, die zuvor kein Wort ausgetauscht haben.

Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf:

Wir sind in der guten Situation, von Beginn an sehr viele Ehrenamtliche für unsere einzelnen Tätigeitsfelder zu haben und kontinuierlich weitere Menschen für eine Mitarbeit zu gewinnen. Gleichwohl wird unsere Arbeit durch die Folgen der anhaltenen Pandemie massiv beeinträchtigt. So gibt es kaum persönliche Begegnungsmöglichkeiten mit unseren neuen Nachbar:innen, nur virtuelles Networking, keine Präsenz-Veranstaltungen, keine öffentlichen Auftritte, und keine persönlichen Sprechstunden. Telefon- und Videokonferenzen können das alles nur unzureichend ersetzen.

Netzwerk Großbeerenstraße:

Aktuell nehmen natürlich die Corona-bedingten Rahmenbedingungen massiv Einfluss auf unsere Arbeit. Zwar gelingt es uns, viele Inhalte und Aktivitäten online umzusetzen und die Vorteile zu nutzen, die diese Form der Zusammenarbeit bietet. Aber die Live-Begegnung als Bedingung für zwischenmenschliche Dynamik und daraus resultierende intensive Trainings können diese Formate nur rudimentär ersetzen. Wir planen mit unseren Partnern also immer auch Aktivitäten für die Sommer-Monate, in der Hoffnung, dass die pandemische Situation dann solche Erfahrungsräume zulässt.

KulturLeben Berlin:

lm Engagement-Bereich spiegelt sich die reale gesellschaftliche Diversität oft noch nicht wider. Gerade Menschen mit Behinderung sind dort unterrepräsentiert oder bleiben unter sich, sodass kein Austausch zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen entsteht.

Mit unserem Projekt „Diversität und Inklusion im freiwilligen Engagement“ setzen wir an dieser Stelle an. Das Projekt hat das Ziel, die vorhandenen Engagement-Strukturen unseres Vereins inklusiv auszubauen. Durch barrierefreie digitale und analoge Kommunikations- und Arbeitsstrukturen und niedrigschwellige und individuell ausgerichtete Aufgabenbereiche soll es Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ermöglicht werden, sich selbst-bestimmt in die Arbeit des Vereins einzubringen.

Durch eine vereinsinterne Struktur der Begleitung und Assistenz, z.B. durch die Bildung von Tandems, werden Möglichkeiten des Austauschs geschaffen und ein gegenseitiges Kennen-lernen und Verständnis erleichtert. Der Kreis an Ehrenamtlichen mit Behinderung soll die Möglichkeit haben, in allen Arbeitsbereichen tätig zu sein wie z.B. im Bereich der Kartenvermittlung am Telefon, bei der Gästeaufnahme in unseren Anmeldestellen oder auch in unseren Projekten.

 

Was bedeutet Diversitätsoffenheit für Sie und ihr Freiwilligenmanagement?

MORUS 14:

Generell beruht unsere Arbeit auf dem Prinzip der gelebten Vielfalt: Unsere Freiwilligen sind so bunt wie Berlin auch.

Eines unserer Kernziele bei MORUS 14 ist es, Toleranz und Weltoffenheit vorzuleben und zu fördern. Beispielsweise möchten wir mit unserem Projekt „Shalom Rollberg“ Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit durch die Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen und Glaubensrichtungen abbauen. Dadurch kommen auch viele Ehrenamtliche mit jüdischem Hintergrund zu uns.
Alter, Herkunft, Religion und sexuelle Orientierung spielen für uns bei der Suche nach neuen Freiwilligen keine Rolle. Wir möchten auch offen für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sein. Bei einem Kennenlerngespräch können wir Möglichkeiten für ein Engagement bei uns finden.

Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf:

In unserem Willkommensbündnis kann sich jede und jeder engagieren, die oder der sich zu den Grundsätzen unseres Grundgesetzes bekennt. Jung, alt, männlich, weiblich oder divers spielen dabei ebenso wenig eine Rolle wie die jeweilige Herkunft. Ähnliches gilt für unsere Zielgruppen, die wir unabhängig beispielsweise von ihrer Herkunft oder ihrem rechtlichen Status unterstützen.

Netzwerk Großbeerenstraße:

Diversitätsoffenheit bedeutet für uns zunächst, dass alle Menschen gleiche Rechte haben und dass sie gleiche Chancen haben müssen. Dies erfordert, eigene (Vor-)Urteile in Frage zu stellen, zu merken, wie sehr sie unsere Wahrnehmung und unser Handeln beeinflussen. Es gilt, sich bewusst zu machen, dass in jedem und jeder ein Schatz innewohnt, den es gemeinsam zu heben gilt – oder ihn zumindest zuzulassen, wenn man selbst nicht weiter involviert ist.

Für uns als Arbeitgeber:innen bedeutet dies, Menschen in all ihrer Verschiedenheit individuell Chancen zu bieten, gemeinsam herauszufinden, an welchem Platz im Unternehmen die jeweilige Person am besten aufgehoben ist und welche Bedingungen sie dort braucht. Für den letzten Punkt sind Aspekte wie wertschätzender Umgang, Angstfreiheit und Raum zur freien Entfaltung notwendig. Daher: „Netzwerk mit Courage: gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung!“ – sowohl nach innen, in die Betriebe, als auch nach außen, in das soziale, gesellschaftliche Umfeld.

KulturLeben Berlin:

Kultur erleben und sich freiwillig engagieren – beides verbindet Menschen, belebt, bildet und stiftet Sinn. Wer sich freiwillig engagiert, kann demokratische Prozesse mitgestalten, das Gemeinwohl fördern und für eigene Rechte und die Rechte anderer eintreten. Freiwilliges Engagement schafft Begegnung und Austausch – eine wichtige Voraussetzung um gesellschaftliche Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen. Daher sollte freiwilliges Engagement jedem zugänglich sein, unabhängig vom Geldbeutel und unabhängig von individuellen Beeinträchtigungen.

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LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Wie Vereine die Herausforderungen der Pandemie meistern
zuletzt überarbeitet 27.04.2021

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